Ohne von einem Weckton wachgerissen zu werden, erwachten wir alle früher oder später in unseren mobilen Schlafzimmern und gönnten uns ein genüssliches Frühstück sowie eine erfrischende Dusche im Sauna-Vorraum des Campingplatzes. Nach wie vor waren wir beeindruckt von diesem urigem Campingplatz, der ein einmaliges Flair ausstrahlte. Die kleinen Hütten zum mieten, sowie mitten der Gemeinschaftsplatz mit „Wintergarten“, alles passte zusammen und lud eigentlich zum verweilen ein. Auch wenn wir es an diesem Tag wirklich gemütlich angehen ließen, mussten wir irgendwann weiter, immerhin sollten wir noch kurz vor Tallinn den Ort der zweiten großen Rallye-Party erreichen. Glücklicherweise war der Ort aber nur knappe 200 km entfernt und so sattelten wir gemütlich unsere „bayrischen Pferde“ und konnten uns auch noch Streckentipps vom Campingplatz-Besitzer einholen, der uns dringend dazu riet, die auf unserer Karte nicht verzeichnete Küstenstraße zu nehmen. Wer kann schon einem einheimischen Rat zu einer schönen Straße widersprechen?
Laut der Anweisung von unserem einheimischen Informanten bogen wir von der eigentlich geplanten Route rechts ab und folgten einer kleinen aber sehr gut ausgebauten Straße zur Küste. Tatsächlich erwartete uns hier eine wirklich sehr sehenswerte Küstenstraße, mit der ein oder anderen schönen historischen Villa, und schönen Aussichten aufs Land, wie aufs Meer. Entland einer Steilküste schlängelten wir uns also durch den Norden Estlands (oder wohl eher ein kleines Stück davon), wo wir dann, wie vom Informanten versprochen, nähe Saka auf ein Hotel mit Campingplatz und vor allem sehr guten Restaurant trafen. Auch hier hielten wir uns an seinen Rat, und kehrten gemütlich zu einem etwas verspäteten Mittagessen ein. Auch wenn das Hotel hier theoretisch einen Spa-Bereich besitzt, erfreuten wir uns beim Thema Wellness nur an den Gaumenfreuden. Mit dem Wissen, auch mal richtig Zeit dafür zu haben, gönnten wir uns ein ausgedehntes Menü, mit Vorspeise, Hauptgang und Nachspeise, und konnten danach nur frohlocken. Was für ein Genuss! Das hatten wir uns doch mal wieder verdient 😉 Gut gestärkt, oder sagen wir eher beinahe „überfressen“, gönnten wir uns noch einen Rundgang auf dem wunderschönen Gelände mit allerlei historischen Infos, von unterschiedlichen Gesteinen, über Militär-Schützengräben, bis hin zu einem alten Leuchtturm, der mittlerweile zu einem Konferenz-Zentrum und Aussichtspunkt umfunktioniert wurde.
Dann ging es aber auch wieder weiter und in die nächste etwas größere Stadt, wir mussten unsere Vorräte wieder aufstocken, mittlerweile war uns nämlich sogar der deutsche Biervorrat ausgegangen. Bei Rakvere fanden wir dann einen großen Supermarkt, der mal wieder eine sehr ausgiebige Auswahl bot, und vor allem die Alkohol-Abteilungen in Estland schreiben sich Sie. Was bei uns oft die komplette Auswahl an allen möglichen alkoholischen Getränken abdeckt, ist dort gerade mal das Regal für den Rotwein. Und auch die Bierauswahl bot reichlich Abwechslung, womit wir für uns ein paar ordentliche Biersorten organisieren konnten. Nein nicht nur Bier 😉 Natürlich mussten auch unsere Lebensmittelvorräte aufgestockt werden, und auch Getränke für den Flüssigkeitshaushalt während des Fahrens braucht der Mensch. Gut ausgestattet machten wir uns dann auf die Suche nach dem Party-Ort, was sich als gut verstecktes, abgelegenes aber nicht schlecht ausgestattetes „Eventzentrum“ erwies: der Raudsilla Entertainment Complex.
Nach dem Empfang vom Organisations-Team suchten wir uns schnell eine ebene Fläche für unsere Rallye-Autos und brachten die Dachzelte und „Parkstellung“. Wie im Roadbook versprochen gab es hier alle möglichen Getränke inkl. Cocktailbar zu lokalen Preisen, sowie wohl die ersten Liter Freibier. Außerdem wurde ab 20:00 Uhr dann das Buffet eröffnet und wir hatten alle die Möglichkeit uns kostenlos an lokalen Estländischem Essen zu laben, bevor wir dann wirklich in die Party starteten. Man muss schon sagen, gerade diese gemeinsamen Party-Events, an denen man alle Teams wieder trifft, sind schon wirklich geile Abende und tendieren dazu, etwas leichter aus den Fugen zu laufen. Wir hatten auf alle Fälle wieder einmal extrem viel Spaß gemeinsam mit vielen anderen Teams und genossen die Party-Nacht, in der es zwar düster, aber noch immer nicht ganz dunkel wurde.
Um uns von dieser Party zu erholen, schlug das Roadbook vor, dass wir uns doch zunächst die mittelalterliche Stadt von Tallinn zu Gemüte führen, und mit einem lockeren Marsch durch die Straßen Tallinn’s unsere müden Knochen wieder in Gang bringen. Gekoppelt mit einem Besuch in einem schönen kleinen Cafe hat das auch gut funktioniert, und wir konnten die wunderschöne Altstadt in vollen Zügen genießen, soweit es zumindest die anwesenden Touristenmassen zuließen. Tatsächlich handelt es sich um ein gut erhaltenes Städtchen, mit vielen Gebäuden die an das Mittelalter erinnern, sowie einer gut erhaltenen Stadtmauer. Aber wo es sehenswertes gibt, sammeln sich natürlich auch die Touristen, und so wird man teilweise von den Massen durch die Straßen „geschoben“, bzw. bekommt selten einen wirklich freien Blick auf die gut erhaltenen Gebäude. Trotzdem war es natürlich ein faszinierender und geschichtsträchtiger Ort.
Zurück auf vier Rädern gab es dann noch eine Tagesaufgabe, um auch wirklich die letzten müden Knochen zu wecken. Wir sollten einen der derzeit angesagtesten Badestrände Estlands finden. Dabei handelt es sich wohl um einen See in dem ein Gefängnis versunken ist. Bzw. ist die Tatsache natürlich etwas anders. Hier steht ein ehemaliges sowjetisches Gefängnis und Arbeitslager das noch zu Weltkriegszeiten aktiv genutzt wurde, jedoch durch ansteigenden Grundwasserspiegel mittlerweile überflutet ist. Nach einiger Recherche fanden wir heraus, dass es sich um das Gefängnis Murru im Ort Rummu handelt, und schlugen den direktesten Weg dorthin ein. Dort angekommen, mussten wir aber zunächst durch eine Schwachstelle des ehemaligen Zauns klettern, wo nach wie vor Stacheldraht liegt. Da war schon schnell klar, ein offizieller Badestrand ist das hier nicht! Trotzdem ist allein der Anblick die Mühen wert. Wer schon einmal am Reschensee war, kennt das etwas surreale Gefühl, wenn ein Gebäude aus dem Wasser ragt. Steht dort aber nur der Kirchturm, so haben wir hier alte eingefallene Mauern, ganze Gebäudekomplexe und unter Wasser sieht man noch viele Grundmauern weiterer Gebäude, denn das Wasser ist wirklich kristallklar. Auch wenn man hier und dort ein „Baden verboten“ Schild sieht, wundert es kaum, dass es sich hier um einen berühmten Party-Badestrand handelt. Es ist wirklich ein sehr surreales Gefühl dort zu stehen, und erst recht dort zu baden. Wahnsinn!
Nach dieser belebenden Erfrischung machten wir uns auf den weiteren Weg, schließlich sollten wir zumindest noch in den Nähe von Riga, der Hauptstadt von Lettland kommen. Aber wie man uns kennt, stellt das natürlich kein Problem dar. Wir überquerten locker die Grenze zu Lettland und erfuhren dann über eine Rallye-WhatsApp-Gruppe, das bereits einige Teams an einem Campingplatz einige Kilometer vor Riga ihre Zelte aufgeschlagen haben, direkt an der Ostsee. Das klang doch zur verlockend als einfach dran vorbei zu fahren und so fanden wir auch einen schönen Campingplatz, direkt an der Küste, und somit mit direktem Zugang zum Strand, wo wir uns wieder einmal günstig mit unseren Autos einquartierten. Zumindest die Hälfte unseres Teams ist Sport- und Fußballinteressiert und an diesem Abend stand bereits das erste EM-Viertelfinale, Portugal – Polen, an. Da auf dem Platz auch einige Polen ihr Lager aufgeschlagen hatten, wurde spontan einen Leinwand, Beamer und live Übertragung per Internet eingeschaltet. Da hörten wir uns nicht Nein sagen und halfen bei technischen Problem noch schnell mit unserem Laptop aus. Endlich mal wieder ein EM-Spiel live, quasi ein Public Viewing auf dem Campingplatz.
Für den nächsten Tag war auch schon das nächste Land geplant: Litauen. Hier sollten wir zum berühmten Berg der Kreuze und ein selbst hergestelltes Kreuz als Dank für unser Team und neu gewonnene Freunde aufstellen. Noch am Campingplatz organisierten wir uns entsprechendes Holz und machten uns dann auf den direkten Weg. Dort angekommen besichtigten wir die berühmte Wallfahrtsstätte und waren überwältigt von der schieren Masse an Kreuzen, die hier aufgestellt wurden, oder teilweise auch einfach nur noch auf einem Haufen lagen, da es zu viele waren. Auch die Hintergrundgeschichte, wie dieser Berg/Hügel entstand, macht Eindruck. So passierten wir angemessen andächtig den Hügel und bestaunten dieses Zeugnis des Glaubens um uns dann einen guten Platz für unser Kreuz auszusuchen.
Nun ging es darum eine Entscheidung zu treffen: Kaliningrad besuchen, oder drum herum fahren? Da es sich bei Kaliningrad um eine russische Enklave handelt, benötigen wir hier abermals ein Visum und uns würden die bekannten Grenzkontrollen erwarten. Das Visum hatten wir ja bereits, da wir unser Russland-Visum als sogenannten Double-Entry-Visum beantragt hatten. Die Erfahrungen mit den russischen Grenzen, sowie wiederholte Erfahrungsberichte von anderen, dass Kaliningrad nicht unbedingt allzu sehenswert wäre, veranlassten uns dazu, den Weg um Kaliningrad herum zu wählen. So ging es über Kaunas drum herum und auf die polnische Grenze zu, die wir auch an diesem Abend noch passieren konnten. Dort fuhren wir dann weiter, möglichst nördlich, um uns nicht zu sehr von der Ostsee zu entfernen. Wir peilten dabei einen in der Karte eingezeichneten Campingplatz bei Lötzen (Gizycko), direkt am dortigen See an. Durch eine kleine Fehleinschätzung (oder war es Absicht) unseres Navigators, landeten wir dabei auf einem recht zugewachsenen Feldweg, der uns entlang kleinerer Seen, einem Wildlehrpfad und absolut querfeldein durch die Wälder Polens führte. Aber unser Motto ist ja „der Weg ist das Ziel“ und so kam ein Umdrehen nicht in Frage! Somit fuhren wir mal wieder unsere eigene kleine Offroadrallye durch Polen’s Hinterland und hatten auch noch richtig Spaß dabei. Der Navigator hatte also nichts zu befürchten 😉
Am Campingplatz angekommen waren die Modalitäten wieder schnell geklärt und die Zelte aufgeschlagen. Fußball gab’s mal wieder auf einer Leinwand, wobei wir dieses Mal erstmal unserem Hunger nachgaben und gemütlich Brotzeit machten. Für einige ging es noch am Abend in das perfekt temperierte Wasser des See’s, der Rest gönnte sich das Bad direkt nach dem Aufstehen zum wach werden.
Mittlerweile war nun der letzte komplette Tag der Rallye angebrochen, am Tag darauf war ja bereits die Zieleinfahrt geplant. Für diesen Tag gab es nun auch keine wirkliche Aufgabe mehr, dafür aber einige Empfehlungen, was uns auf der Strecke noch an Sehenswertes erwarten würde. Zuerst wurde dabei die Marienburg in der Stadt Malbork ausgewiesen, wobei es sich um den größten Backsteinbau Europas handelt. Und man muss schon sagen, diese riesige Befestigungsanlage ist wirklich einen Besuch wert. Auch wenn über die Hälfte der Burg im zweiten Weltkrieg zerstört wurde, ist die Burg mittlerweile wieder vollständig in Takt, da Sie vom polnischen Staat komplett wiederaufgebaut wurde. Eine Besichtigung von Innen verkniffen wir uns aber, standen doch noch zwei weitere Punkte im Roadbook, die wir nicht auslassen wollten. Unser nächstes Zeil war nämlich die Stadt Danzig, welche ebenfalls über eine sehenswerte Altstadt verfügt. Aufgrund eingeschränkter Parkzeiten, sowie einem mehr als nur ungemütlichen Sturm vollführten wir quasi ein Speed-Sightseeing und machten uns dann weiter in den nächsten Ort Sopot, an dem sich der längste aus Holz gefertigte Pier Europas, mit einer Länge von 500 Metern befindet. Da sich das Wetter aber nicht wirklich bessern wollte, blieb es ebenso bei einem kurzen Besuch.
Fußballfans wissen aber auch, das an diesem Tag noch das Viertelfinale Deutschland – Italien anstand, was sich unsere drei Sportbegeisterten Team-Mitglieder natürlich unter keinen Umständen entgehen lassen wollten. Allerdings mussten wir auch noch ein bißchen Strecke machen, da wir morgen ja bereits im späten Nachmittag Hamburg erreichen sollten. Nach einem kurzen Stop zum Vorräte aufbessern, machten wir noch einen wichtigen Teil der Strecke Richtung deutscher Grenzen und hielten dabei Ausschau nach Möglichkeiten das Spiel zu schauen. Nach ein paar Stops an Lokalen direkt an der Strecke, beschlossen wir dann die nächste kleinere Stadt anzufahren und dort zu suchen. Die Zeit wurde dabei immer knapper und es waren nur noch wenige Minuten bis zum Anpfiff, als wir einem Einheimischen (der weder Deutsch noch Englisch, dafür aber Spanisch spricht) um Hilfe baten, und ihm durch die Straßen folgten. Leider wieder ohne Erfolg! Aber uns fiel bei der Fahrt ein Lokal auf, welches eine „Polska“ Flagge mit Fußball-Motiv gehisst hatte, und so machten wir uns direkt auf den Weg dorthin. Exakt eine Minute vor Anpfiff saßen wir dann tatsächlich am Tisch in einem gehobenen Lokal und konnten nicht nur den kommenden Fußball-Krimi live miterleben, sondern auch ein leckeres Essen in ungeahnter Preis-Leistung genießen. Eigentlich hätten wir uns ja ein Ende des Spiels nach 90 Minuten gewunschen, da wir zum Übernachten die Stadt noch verlassen wollten, aber lieber dauert es etwas länger, wenn Deutschland endlich Italien besiegt. Sage und Schreibe 19 Elfmeter (einer in der regulären Spielzeit, 18 im Elfmeterschießen) sollten wir bis kurz vor Mitternacht erleben, die unsere Nerven sehr auf die Probe stellten. Nachdem letzten verwandelten Elfmeter von Jonas Hector konnten wir uns dann aber erleichtert auf den Weg machen, einen Übernachtungsplatz zu finden.
Einer Seitenstraße folgend, die in einen Feldweg mündete, fanden wir dann unser letztes Wildcamping-Ziel, klappten die Dachzelte auf, und köpften noch ein Bier auf diesen Fußball-Krimi mit Happy End. Ein paar lustige Fotos später ging’s aber dann auch direkt ins Bett, lagen doch noch knappe 700 km bis zur Ziellinie vor uns.
Den letzten Tag, sowie die Heimreise heben wir uns aber noch für einen kurzen fünften Teil unseres Tagebuchs auf, also bleibt uns gewogen 😉
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