Nach einer nicht ganz so langen Nacht im Auto/Dachzelt packten wir unsere Sachen zusammen und verschafften uns noch eine Übersicht über unsere Vorräte und den Zollbestimmungen, nur um zu wissen was wir unter Umständen abgeben würden. Dann ging’s direkt los zur Grenze, die nur ein paar Kilometer von unserem Campingplatz entfernt lag. Dort reihten wir uns direkt in die Schlange hinter einigen anderen Rallye-Wagen ein, und brachten unsere Pässe zur Passkontrolle der Norwegischen Seite. Wir standen in etwa an sechster Stelle hinter der Schranke, über die man ins Grenzgebiet und zur russischen Kontrolle kommt. Auch geschlagene drei Stunden später hatten wir uns keinen Millimeter vor oder zurück bewegt. Somit stiegen natürlich auch die Diskussionen, auch mit anderen Teams, was da wohl auf uns zukommen würde. Als dann endlich mal etwas Bewegung in die Sache kam, erreichte uns auch eine Nachricht eines Teams, das bereits durch war: Keine Sorge, eigentlich kommt alles durch, nur ein übertriebener Papierkrieg und jedes Rallyeauto muss komplett ausgeräumt werden. Immerhin die Sorge etwas unserer Vorräte nicht mitnehmen zu können, konnten wir abhaken. Nach insgesamt 4 Stunden hatten wir dann zumindest die erste Schranke passiert, wobei uns der norwegische Zöllner noch eindringlich darauf hinwies, das Auto nicht zu verlassen und keine Fotos zu machen.
Die Kontrollstation noch nicht ganz in Sicht, kam uns bereits der erste russische Zollbeamte entgegen und gab uns einen kleinen gefalteten Migrations-„Zettel“ zum ausfüllen. Letztendlich mussten wir einfach nur Daten aus unserem Reisepass bzw. dem russischen Visum übertragen, zweimal, denn es gab ein Formular zur Ein- sowie eines zur Ausreise, beide identisch und im Format des Reisepasses, sowie 4-sprachig beschriftet. So klein haben wir schon lang nicht mehr geschrieben. Welcher Grund sich dahinter verbirgt, erschließt sich uns bis heute nicht.
Bereits an der Grenze waren die Englisch-Kenntnisse nur rudimentär und auf wenige Worte beschränkt, insofern konnten wir uns beim Papierkrieg auf wenig Hilfe verlassen. Nachdem wir weiter vor gewunken wurden und nun im eher nach dem Chaosprinzip verteilten Autos vor der Kontrollstation anhielten, wurden wir angewiesen zur Passkontrolle zu gehen. Dort funktionierte wenigstens der Buschfunk unter den Rallye-Teams: Kaum im Gebäude bekam man von den bereits anwesenden Teams die Info, dass die Fahrzeugbesitzer ein Zollformular ausfüllen sollten, und sogar eine Vorlage wurde weitergegeben. Sehr cool! Aber trotz all dieser Hilfen, blieb immer wieder was unklar, bzw war man sich nicht immer ganz im Klaren, was nun gefragt war, und wie genau es ausgefüllt werden musste. Nach der etwas langwierigen Passkontrolle konnten die Beifahrer direkt den Grünen Weg „Nichts zu verzollen“ nehmen, während die Autobesitzer weiter Anstehen mussten, um das Auto korrekt zu verzollen. Aber auch die Beifahrer konnten nur direkt nach dem Ausgang auf die Fahrzeughalter warten, denn zu den Autos durfte man nun erstmal nicht mehr.
Während die Hälfte von uns sowie allen anderen Rallye Teams bereits draußen wartete, ging es im Gebäude nun an den echten Papier- und Detailkrieg. Das witzige: vor der Kontrolle gab es die Formulare nur in Russisch, Norwegisch oder Englisch, hier dann aber plötzlich auch in weiteren Sprachen, darunter auch Deutsch. Wobei man auch sagen muss, dass die deutsche Version nicht wirklich geholfen hätte, war sie doch auf dem Niveau einer Google Translator Übersetzung. Viele Abgaben waren dem Zöllner zu ungenau und mussten korrigiert bzw. teilweise auch ganze Formulare komplett neu ausgefüllt werden.
Nach dieser ellenlangen Prozedur durften wir dann endlich zur Kontrolle vorfahren und wie vorgewarnt das Auto nahezu komplett ausräumen. Kommuniziert wurde dabei nur mit Handzeichen und kurzen englischen Schlagworten: „Open“, „Out“, „OK“. Witzig war auch, als er unser Bier fand: „Beer?“, „Yeah!“, „Ah ok!“ Sogar unser Dachzelt mussten wir aufbauen, was aber dann doch eher ein gewisses Erstaunen hervorgerufen hat, statt Ärger zu geben.
Schlussendlich waren wir nach insgesamt nun 5 1/2 Stunden tatsächlich in Russland angekommen und machten uns auf den direkten Weg nach Murmansk. Bereits in den ersten Kilometern muss man sagen, das Russland seinem Ruf irgendwo gerecht wurde. Uns erwartete erstmal eine große Kilometerlange Baustelle, durch die man mittendurch fährt, direkt vorbei an den Maschinen und Bauarbeitern, wobei die nur sehr spärlich auf der Strecke verteilt waren. Zurück auf dem Teer waren die Straßenverhältnisse zumindest etwas besser, auch wenn immer wieder tiefe Schlaglöcher zu finden waren. An allen Parkplätzen und auch sonst am Straßenrand lag immer wieder Müll, teilweise aufgehäuft und ohne dass sich jemand darum kümmerte! Hier gab es überall Wald im Überfluss und anscheinend wird deswegen wohl auch kaum Wert oder Rücksicht darauf genommen. An der ersten Tankstelle hatten wir dann noch das Glück einen englisch sprechenden Russen anzutreffen, der für uns kurz übersetzte und auch die lokalen Gepflogenheiten erklärte: es wird vor dem Tanken bezahlt, oder die Kreditkarte wird an der Kasse einbehalten und man darf dann tanken. Englischkenntnisse helfen einem im Russland sonst leider überhaupt nichts!
Bereits von der Grenze ab befanden wir uns auf der einen Straße, E105, die quasi den Norden Russlands mit dem Rest verbindet und über 1500 km direkt nach St. Petersburg führt. Bei Murmansk fuhren wir aber ab und schlugen den Weg Richtung Innenstadt ein. Je weiter wir in die Stadt kamen, desto schlimmer wurden die Straßenverhältnisse und umso größer und tiefer die Schlaglöcher! Auch die Stadt selbst ist unserer Meinung nach wahrlich keine schöne Stadt, besteht sie doch größtenteils nur aus großen heruntergekommenen Beton-Wohnblöcken, Industrie und dem Hafen. Also suchten wir uns kurzerhand nur einen Supermarkt um dann noch ein wenig Kilometer machen zu können. Und was wir für einen fanden. Vermutlich der größte in dem wir je waren. Sage und schreibe 46 Kassen! Insofern gab’s auch wirklich alles was wir brauchten und wir konnten uns schnell wieder von der Stadt verabschieden. Also zurück auf die E105 und Gas geben.
Der Kilometerzähler lief wie frisch geschmiert und wir machten noch ordentlich Strecke um die sinnlose Wartezeit an der Grenze auszugleichen. Dabei hielten wir aber auch ständig nach einem Schild für einen Campingplatz Ausschau. Wir hatten noch an der Grenze gehört, dass es wohl nach Murmansk einen geben soll, den mehrere andere Teams anpeilten, und was gibt es besseres als gemeinsam mit anderen Teams zu campen. Nach einigen Stunden waren wir uns eigentlich sicher, dass wir es einfach übersehen haben müssten, allerdings gab es auch sonst nirgends eine Möglichkeit wild zu campen. Es gab nur die Straße und daneben dichten Wald, ohne jeglichen Weg oder etwas abgelegeneren Parkplatz, wirklich keine Chance die Straße zu verlassen. Dunkel wurde es zwar ja nicht, aber dafür doch langsam aber sicher spät. Als wir schon versuchten uns mit dem Gedanken anzufreunden, direkt am Straßenrand zu schlafen, kam dann endlich das erhoffte „Zelt-Schild“. Rechts ab, 100m… Geblinkt, abgebogen und einem schlechten Feldweg gefolgt. 100 Meter waren längst vorbei, aber wir wollten nicht aufgeben und wurden nach einer beinahe kompletten Offroad Fahrt doch noch belohnt: hier lag mitten im Wald ein idyllischer See und auch der angekündigte Campingplatz. Zwischen den Bäumen standen sogar Hütten zum mieten und natürlich gab es auch (wenn auch nicht die ebensten) Stellplätze. Und da es eh der einzige Campingplatz in der Gegend war, trafen wir hier doch relativ viele andere Teams, mit denen wir bei ein paar Bierchen die ein oder andere Erfahrung austauschten, bevor wir uns schlafen legten.
Der Zeitverlust an der Grenze war leider noch nicht komplett wieder aufgeholt, also hieß es mal wieder: das Gas ist rechts und weiter die E105 runter Richtung Süden. Vorteilhaft dabei war, dass aufgrund des riesigen ungenutzten Landes die Straßes nahezu kerzengerade gebaut ist. Das nimmt beinahe amerikanische Verhältnisse an, so dass die Straße wortwörtlich bis zum Horizont gerade verläuft. Vorbei an Petrozavodsk wollten wir heute endlich die verlorene Zeit aufholen und uns evtl sogar einen kleinen Vorsprung verschaffen, um etwas mehr Zeit für St. Petersburg zu haben. Somit ging es so weit und so nah wie möglich noch an das Venedig des Nordens heran. Witzigerweise trafen wir am Straßenrand auf ein paar Teams, und suchten uns dann gemeinsam einen schönen Platz zum wild campen.
Am nächsten Morgen machten wir uns dann zeitig auf den Weg und peilten das Zentrum der nördlichsten Metropole der Welt an. Dort erwartete uns leider strömender Regen und, noch viel schlimmer, dichtestes Verkehrschaos! Wir schlichen quasi im Schritttempo durch die Straßen, immer Richtung Zentrum, und wurden regelmäßig von Fußgängern „überholt“. In ganz Russland hatten wir bisher immer zweisprachige Beschilderung, also zumindest was die Schrift betrifft. In St. Petersburg dagegen war alles ausschließlich in kyrillisch beschriftet! Das machte natürlich auch die Orientierung in diesem Chaos nicht leichter. Irgendwie kamen wir aber tatsächlich ins Zentrum und passierten einige Sehenswürdigkeiten. Trotzdem kostete uns das alles viel Nerven und Benzin, so dass die Besatzung unseres Kombüsenwagens doch langsam zu schwitzen anfing (das Auto bekam beim letzten Tanken ein paar Liter weniger ab). Zumindest diesen Stress konnten wir an einer Tankstelle aus der Welt schaffen. Die Aufgabe aus dem Roadbook gab außerdem noch vor, einen bestimmten Beachclub in St. Petersburg zu finden um dort gegen ein Codewort („Russian Viking“) eine Botschaft zu erhalten. Mit der Adressangabe fanden wir den Club auch und gönnten uns noch einen kleinen Marsch durch die Straßen mit einer kleinen Fastfood-Stärkung.
Beim Essen beschlossen wir dann, nicht wie vom Roadbook geplant die Nacht in St. Petersburg zu verbringen, sondern noch heute Abend/Nacht die Grenze zu überqueren. Laut Roadbook wäre das erst ab dem nächsten Tag vorgesehen, aber wir hatten ja bereits negative Erfahrungen mit dem Grenzübertritt nach Russland. Also zurück zu den Autos und ab Richtung EU! Auf dem Weg nach draußen ließen wir das Verkehrschaos bald hinter uns und flogen im Tiefflug zum Grenzübergang nach Estland, wo wir uns in eine bereits längere Autoschlange einreihten. Wir stellten uns schon auf eine lange Nacht in dieser Schlange ein, aber nach einer knappen Stunde kam richtig Bewegung in die Sache und wir kamen tatsächlich relativ zügig dran. Natürlich gab es wieder einiges an Bürokratie, aber dieses Mal wurden nur die bereits ausgefüllten Formulare geprüft bzw. einbehalten, das Auto nochmal sporadisch durchgecheckt und dann hatten wir die Russische Föderation auch wieder verlassen! Schon die Grenzkontrolle Estlands strahlte förmlich EU aus. Alles mit High Tech geregelt, zügige Kontrollen und freundlicheren Zollbeamten (bei der russischen Kontrolle wurde man eher unfreundlich und genervt angeschnauzt). Als wir mal wieder unsere Dachzelte öffnen sollten gab es freudiges Staunen und sogar Gekicher unter den Zöllnern. Direkt danach durften wir dann auch endlich zurück in die EU.
Auch wenn wir nicht direkt negative Erfahrungen gemacht haben, so hatten wir doch durchgehend ein komisches Gefühl, welches vermutlich allein durch die zwei intensiven Grenzkontrollen, die sich mehr nach Schikane als nach berechtigten Kontrollen anfühlten, verursacht wurde. Das Hintergrundwissen über die Staatsform und die Gepflogenheiten tat natürlich sein übriges. Andererseits können wir aber nichts negatives über die Einwohner sagen, auf dem Campingplatz wurden wir beispielsweise freundlichst und mit offenen Armen empfangen. Trotzdem waren wir irgendwie alle erleichtert wieder in der EU angekommen zu sein. Auch wenn Estland noch weit weg von Deutschland ist, es war ein kleines Heimatgefühl dabei!
Trotz der fast schon schnellen Grenzabwicklung, war es mittlerweile doch etwas spät geworden und so wollten wir uns kurz nach der Grenze einen Campingplatz suchen. Beim ersten Schild das uns entgegen kam bogen wir ab und mussten den gut versteckten Platz mal wieder intensiver suchen. Vor allem wird es hier ja auch wieder dunkel!
Über einen Feldweg erreichten wir dann den unheimlich urigen Campingplatz, an dem für uns auch extra noch ein Feuer im Freien sowie in einer kleinen Pyramiden-förmigen Hütte gemacht wurde. Mit ein paar Bier ließen wir den Tag ums Feuer dann gemütlich ausklingen. Ein nettes Detail: Beim Klo auf dem Campingplatz handelt es sich ebenso um eine Pyramidenkonstruktion, unter der sich ein schön hergerichtetes altes Plumpsklo befand, dafür mit echter WC-Brille und LED Beleuchtung 😉
Dank der nächtlichen Grenzüberquerung hatten wir für den nächsten Tag ein lockeres Tagesprogramm, weswegen wir uns bewusst mal das Einstellen einer Weckzeit sparen und uns etwas erholen können. Über das Baltikum, Polen und die Zieleinfahrt berichten wir dann im nächsten Teil unseres Tagebuch’s!
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Moin, ich habe euren Bericht mit großem Interesse gelesen. Vielen Dank dafür, toll geschrieben. Wo finde ich denn eure nächsten Berichte? Wir werden die Tour als „Team Floki“ nächstes Jahr fahren. Habt Ihr auf dem Weg von Murmansk nach St. Petersburg sowas wie Hotels oder B&B gesehen? Dankeschön für eine Antwort. LG, Andrea